VBIO

Das EU-Referenzlaborator für Alternativen zu Tierversuchen (EURL ECVAM) empfiehlt, Tiere zukünftig nicht mehr für die Entwicklung und Produktion von Antikörpern zu verwenden. Dies hat zu einiger Unruhe bei den Betroffenen geführt. Welche Konsequenzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befürchten, sollte die Empfehlung in die Praxis umgesetzt werden, hat jetzt eine Umfrage des AK Tierversuche im VBIO gezeigt.

 

Abbildung:Antikörper sind aus Grundlagenforschung, Entwicklung, Diagnostik und Therapie nicht wegzudenken. Abb.: Tomasz "odder" Kozlowski CC BY-SA 3.0.)

Antikörper haben ein sehr breites Einsatzgebiet. Sie sind essentielle Nachweisreagenzien in der Grundlagenforschung und in vielen diagnostischen Verfahren. Auch als Therapeutika sind sie von großer Bedeutung. Ohne monoklonale Antikörper würde die heutige biomedizinische Forschung nicht existieren, so wenig wie unzählige wichtige Beiträge zur Immunologie, Zellbiologie, Molekularbiologie, Entwicklungsbiologie, Biochemie und Pharmakotherapie.

Für Aufsehen sorgte 2020 die „EURL ECVAM Recommendation on Non-Animal-Derived Antibodies“, des Joint Research Center der EU-Kommission. "Tiere sollten nicht mehr für die Entwicklung und Produktion von Antikörpern für die Forschung, für regulatorische, diagnostische und therapeutische Anwendungen verwendet werden".

Die konsequente Umsetzung der Empfehlung hätte weitreichende Folgen für die Grundlagenforschung und die industrielle Forschung und Entwicklung (F&E) in Deutschland und Europa, denn die Vakzinierung von Tieren zur Herstellung von Antigen-produzierenden Hybridomazellen wäre dann deutlich erschwert. Genehmigungen, Finanzierungen und Publikationen würden deutlich aufwändiger, wenn nicht unmöglich zu erzielen. Da nicht nur die Grundlagenforschung, sondern auch die Herstellung betroffen ist, würde sich das Angebot der kommerziell erhältlichen Antikörper deutlich reduzieren – mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Grundlagenforschung.

Die Empfehlung der EURL ECVAM hat grundlegende Kritik erfahren – so etwa in Hinblick auf Methodik und Ausgewogenheit. Aber auch Befangenheiten der Autoren wurde gemutmaßt. So unterschiedliche Akteure wie der europäische Hochschulverbund LERU, Fachgesellschaften wie die GV-SOLAS oder die European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations (EFPIA) und die European Animal Research Association (EARA) bemängeln, dass die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Technologien zur Herstellung von Antikörpern nicht angemessen abgewogen wurden. Zwar bergen die in vitro Display-Technologien viele Chancen und sollten vermehrt Anwendung finden, für eine komplette Umstellung auf Display Technologien und damit für einen Verzicht auf Tierversuche sei es allerdings noch zu früh. Beide Technologien müssten noch für längere Zeit komplementär genutzt werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen.


Der Standpunkt des VBIO

Der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO e. V.) hat Ende 2020 eine Umfrage unter seinen instiutionellen Mitgliedern durchgeführt. Ziel war es, einen Überblick über die Forschungsgebiete und –projekte zu gewinnen, die auf die Nutzung von Antikörpern unterschiedlichen Ursprungs angewiesen sind. Dabei wurde unter anderem auch erhoben, ob und wie weit Antikörper tierischen Ursprungs im konkreten Fall durch synthetische Antikörper ersetzt werden könnten.

Die Ergebnisse zeigen, dass nahezu alle Befragten sehr besorgt und skeptisch sind. Sie sehen erhebliche wissenschaftliche und finanzielle Nachteile, sollte die Nutzung von Antikörpern, die primär im Tier gewonnen werden, in der EU nicht mehr oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen möglich sein.

Es besteht unter den Befragten ein klares Bekenntnis zu den 3-R-Prinzipien des europäischen Tierschutzrechts und damit auch eine deutliche Bereitschaft zur Nutzung synthetischer Antikörper, sofern diese in Hinblick auf Qualität, Zugänglichkeit und finanzielle Investition gleich gute Ergebnisse erzielen würden wie die Antikörper tierischen Ursprungs. Viele Arbeitsgruppen unterstreichen, dass sie je nach Fragestellung, Finanzierungsmöglichkeit und Zugänglichkeit synthetische Antikörper bereits nutzen oder mit zunehmendem Fortschritt auf diesem Gebiet zukünftig einsetzen würden.

Sollte die Empfehlung der EUR-ECVAM umgesetzt werden, so fürchten viele der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gleichwohl negative Konsequenzen, die sich in drei wesentlichen Punkten zusammenfassen lassen:

  1.  Nachteile für Grundlagenforschung und wissenschaftlichen Wettbewerb
  2. Nachteile für industrielle Forschung & Entwicklung und internationalen Wettbewerb
  3. Erhebliche zusätzliche Forschungskosten - mit negativen Folgen für den Forschungsstandort Deutschland.

Der VBIO warnt daher davor, die EURL ECVAM-Empfehlung umzusetzen. Er erwartet vielmehr einen konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten, wie Antikörper tierischen Ursprungs sukzessive durch synthetische Antikörper ersetzt werden könnten. Hierzu ist eine mittel- bis langfristige Perspektive notwendig. Die Umsetzung erfordert finanzielle Unterstützung der betroffenen Projekte der Grundlagenforschung und der F&E.

Der VBIO kooperiert in dieser Angelegenheit eng mit der Biotechnologieorganisation Deutschland (Bio Deutschland), die kooperierendes Mitglied im VBIO ist. Bio Deutschland hat eine vergleichbare Umfrage unter seinen Mitgliedern gestartet, die ebenfalls zu ähnlichen Ergebnissen geführt hat.

Zur Stellungnahme des VBIO